BESPRECHUNGEN VON OSTMETAL-TONTRÄGERN


HOWLIN' MAD "Insanity" (West Virginia Records, 1990)

Die hier zu besprechende Veröffentlichung hat eine sehr interessante Geschichte, denn sie war eine der ersten, die eine Metalband aus der DDR offiziell bei einer Plattenfirma im Westen herausbrachte: Ende Oktober 1990 veröffentlichte die neu gegründete "West Virginia Records & Tapes GmbH" als ersten Tonträger das Debüt der Erfurter Gruppe HOWLIN' MAD.
Diese war erst ein Jahr vorher gegründet worden, nachdem die ehemaligen Mitglieder von INSANITY vom NVA-Ehrendienst in die Reserve versetzt worden waren. Es handelte sich um eine sehr junge Band, deren Musiker damals erst siebzehn bis zwanzig Jahre alt waren und die gerade erst damit begonnen hatten, eigenes Material zu schreiben. Bei ihren ersten Konzerten fielen sie wegen ihrer Ausstrahlung positiv auf und wurden sogleich unter Vertrag genommen. So kam es, daß sie ein Album produzierten, ohne je ein Demo aufgenommen zu haben!
Da die Plattenfirma dem damaligen HOLY MOSES-Manager Uli Wiehagen gehörte, waren die Aufnahmen sowie deren Abmischung die ersten, die im ebenfalls neu gegründeten "Stage One Studio" (www.stage-one-studio.com) von Andy Classen stattfanden. HOWLIN' MAD begründeten somit also den heute legendären Ruf des damaligen HOLY MOSES-Gitarristen und -Komponisten als Produzent!
Das Ergebnis dieser Arbeit ist ein Album mit zwölf Liedern. Die CD-Version enthält noch einen Bonustitel (So wie das damals üblich war, um Werbung für das noch relativ neue Medium zu machen!), der jedoch so kurz ist, daß er keinen wirklichen Unterschied macht.
Auf der Vorderseite der Hülle sieht man eine Zeichnung von sechs Typen, die auf selbstzerstörerische Weise in einem - umgangssprachlich Gummizelle genannten - Raum durchdrehen. Auf das Bild ist direkt unter dem Logo in einem schwarzen Kreis der Hinweis "INCL. SABINA OF HOLY MOSES WITH DRUNK 'TILL EMPTINESS" gedruckt. Im Innenteil findet sich die obligatorische Dankesliste, ein Hinweis auf eine gemeinsame Tour mit HOLY MOSES im Jahr 1991 und ein Aufruf zur Unterstützung der antifaschistischen und pazifistischen Grundeinstellung der Gruppe, den ich besonders im Jahr 1990 sowie angesichts der eher a(nti)politischen Haltung der Metalszene für bemerkenswert halte. Daher hätten mich die Liedtexte sehr interessiert, diese sind jedoch leider nicht in dieser Veröffent-lichung enthalten.
Die Besetzung besteht aus Sylvio "Silvio Mad" Skoberle (Gitarre), Gert "Gerte Mad" Lange (Gesang), Olaf "Olaf Mad" Eisenbrandt (Schlagzeug), Rolf "Ralle Mad" Horvath (Gitarre), und Mirko "Mirco Mad" Ludwig (Bass). Auf die Ohren gibt es letztendlich handwerklich sehr gut gemachten, riffbetonten Thrash Metal, der teilweise die Grenze zum Death Metal berührt - eine Kombination, die Ende der 1980er Jahre sehr beliebt war. Im Innenteil der Tonträgerhülle wurde die Musikrichtung "Techno-Death-Thrash" genannt, was ich für zutreffend halte, da es technisch durchaus anspruchsvoll und abwechslungsreich zur Sache geht. Die Musik klingt angenehm rau, ist gut produziert und mehrere der Lieder mausern sich schnell zu angenehmen Ohrwürmern. Nur die Stimme des damals erst siebzehnjährigen Sängers Gert Lange wirkt auf mich mit der Zeit etwas eintönig. Somit ist dann auch tatsächlich das - leider nur sehr kurze - Duett mit HOLY MOSES-Sängerin Sabina Classen beim Titel "Drunk 'Till Emptiness" aufgrund seines Abwechslungsreichtums der Höhepunkt des Albums für mich! Den von manch anderen Rezensenten vorgebrachten Kritikpunkt "mangelnde Eigenständigkeit" teile ich jedoch nicht.
Die knappe Dreiviertelstunde, die das Album läuft, vergeht auf sehr angenehme Weise, so daß ich "Insanity" gern weiterempfehle. Auch wenn man diesem Tonträger anmerkt, aus welcher Epoche er stammt, funktioniert er auch heute noch und hat für mich den Test der Zeit eindeutig bestanden! Ich bin beeindruckt von der Professionalität dieses Debütalbums einer so jungen Gruppe. Für HOLY MOSES-Fans ist das Album aufgrund der Ähnlichkeiten und der vielen Querbezüge quasi ein Muß!
Ich bin sicher, daß das Material in einem Konzert sicher noch besser funktioniert hat als die Konserven-Version. Mich hätte sehr interessiert, wie sich die jungen Musiker weiterentwickelt hätten, leider hat sich die Gruppe jedoch bereits relativ kurz nach der Veröffentlichung dieses Albums aufgelöst. Daher hält sich mein Wissen über HOWLIN' MAD auch in sehr engen Grenzen, und ich kann zum Beispiel nicht sagen, ob die Gruppe durch die Figur des "'Howlin' Mad' Murdock" aus der Fernsehserie "Das A-Team" oder durch General Holland "Howlin' Mad" Smith, der laut Wikipedia "als Vater der modernen US-amerikanischen amphibischen Kriegführung" gilt, zu ihrem Namen inspiriert wurde.
Ich befürchte, diese Platte war nur eine Art Ostmetal-Versuchsballon für "West Virginia Records". Da der erhoffte Erfolg aber nicht eintrat, wurden die von der Plattenfirma bereits angekündigten Debütalben von ROCHUS und MOSHQUITO leider gar nicht erst veröffentlicht.
Um es noch einmal zu sagen: Auch wenn hier weder das Rad noch sonst irgend-was neu erfunden wird, gefällt mir das Album richtig gut. Und an der oben beschriebenen Bedeutung im Rahmen der Geschichte des Ostmetal gibt's meiner Meinung nach eh nichts zu rütteln.

(Text: Micha, Bild: West Virginia Records)
 
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