BESPRECHUNGEN VON OSTMETAL-TONTRÄGERN |
FORMEL 1 "Edelrocker" (Immortal Vinyl Records, 2008) |
Wir schreiben das Jahr 1987. Die wohl bekannteste Heavy-Band aus der Deutschen Demokratischen Republik, die gerade ein Jahr vorher mit "Live im Stahlwerk"
das einzige richtige Metal-Album im Arbeiter- und Bauernstaat veröffentlichen durfte und damit auch im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet bei
einigen Leuten für offene Münder sorgte, existiert plötzlich nicht mehr. Nachdem man knappe fünf Jahre in den Medien wie Rundfunk, Fernsehen
oder auf Schallplatte präsent war und sich auch auf dem Live-Sektor gehörig den Arsch aufriss, hielt man den Repressalien der Kulturbonzen nicht
mehr stand und löste die Band auf. Ewige Nörgelein an den Texten, dem Image und der musikalischen Darbietung seitens der Verantwortlichen bewegten
einige Bandmitglieder zum Ausreiseantrag, woraufhin sämtliche öffentliche Aktivitäten eingestellt und jegliche Medienpräsenz komplett
verboten wurde. Das Vermächtnis in Form von 18 produzierten Titeln, von denen damals lediglich fünf Stücke auf Singles und völlig unpassend
zusammengewürfelten Sammelalben erschienen, verschwand in der Versenkung und sollte dennoch zwanzig Jahre später einen Idealisten dazu bewegen,
schlafende Hunde zu wecken... Zurück in die Gegenwart: Mittlerweile im Jahre 2008 angekommen, präsentiert uns das kleine, aber feine Label "Immortal Vinyl" eine einzigartige fünffach LP-Box mit dem (fast) kompletten Backkatalog der Berliner Edelrocker. Bis auf einen einzigen Song aus dem Jahre 1982 ("Tramperlied"), der leider in keiner Form mehr auffindbar ist, wurde gut recherchiert und ganze Arbeit geleistet, um sämtliche Rundfunkproduktionen in das schwarze (und bierfarbene), auf insgesamt 400 Exemplare limitierte Vinyl zu stanzen. Allein für die Realisierung wurden keine Kosten und Mühen gescheut - immerhin liegen die Rechte der alten Aufnahmen teilweise im Deutschen Rundfunkarchiv oder "Sony/BMG" haben ihre Fittiche auf den alten Bändern. Alle enthaltenen Beiträge wurden komplett remastert und klingen dennoch nicht modern, sondern lassen den Charme der guten alten Zeit aufleben, wenn man sich die Platten reinzieht. Besondere Perlen findet man zuhauf, denn einige Songs liefen damals nur selten über den Äther und wurden gar nicht auf Tonträgern veröffentlicht. Allein der völlig IRON MAIDEN-mäßige "Da bleibt was von mir" rechtfertigt den Kauf dieser edlen Box um ein vielfaches!!! Doch das ist noch lange nicht alles. Nachdem auf den ersten beiden LPs die 17 Rundfunkproduktionen auf den Hörer einprasseln und mit dem gänzlich unveröffentlichten Song "Kreuzritter" aus dem Jahre 1987 (Demoversion, die kurz vor der Auflösung noch schnell auf Band gebracht wurde), der Reigen der Studioaufnahmen geschlossen wird, packt man auf den nächsten eineinhalb Platten einen hammermäßigen Livemitschnitt aus dem Jahre 1985 auf die Vinylschleuder, der seinerzeit vom Rundfunk während einer Einstufungsveranstaltung in Lehnitz mitgeschnitten wurde und die einzige offizielle LP "Live im Stahlwerk" sound- und stimmungsmäßig locker in den Schatten stellt. Neben einigen Songs, die bisher nur als Studioversionen existierten, präsentiert man mit "Rime Of The Ancient Mariner" eine sagenhafte Cover-Version der Eisernen Jungfrauen, die sich gnadenlos genial in das Gesamtgefüge der gebotenen Konzertveranstaltung einfügt und zumindest mir die Freudentränen in die Hose treibt. Mit 60 Minuten Spielzeit dürfte dies der komplette Auftritt aus Lehnitz sein, der nun endlich in seiner gesamten Pracht das Licht der Welt erblicken kann. Die zweite Seite der vierten LP beinhaltet einen Zusammenschnitt verschiedener Aufnahmen aus den Jahren 1984 und den Reunion-Gigs von 1999 und 2000, wobei letztere Beiträge lediglich Cover-Versionen der gehuldigten Helden SAXON und BLACK SABBATH sind, die aber auch in der FORMEL 1-Variante durchaus funktionieren. Als besonderen Leckerbissen hat man für die fünfte Platte tief in den Archiven alter Fans gewühlt und einen Livemitschnitt aus dem Jahre 1987 ausgegraben, der wohl eines der letzten Konzerte der Band gewesen sein dürfte. Angesichts der Tatsache, daß man hier neben einigen Cover-Versionen von JUDAS PRIEST und IRON MAIDEN die komplett unveröffentlichten Songs "Long Ago" und "Vorurteil" hören darf, dürfte einem Fan die sehr rohe Bootleg-Qualität besagter Aufnahme wohl eher zur Nebensache werden, denn somit ist dies die einzige Möglichkeit, die allerletzten Machwerke der Berliner mal in die Gehörgänge rauschen zu lassen. Abgerundet wird dieses dicke Paket durch einen breiten Schuber, der alternative Cover-Entwürfe des "Live im Stahlwerk"-Coverzeichners beinhaltet sowie ein liebevolles, sehr detailliertes 12-Seiten-Booklet im LP-Format, dem man sowohl sämtliche Informationen zu den enthaltenen Beiträgen entnehmen sowie sich an einigen interessanten Interviews laben kann. Da diese Veräffentlichung auf nur 400 Exemplare limitiert und die bierfarbene Version, von der es lediglich 100 Stück gab, schon längst ausverkauft ist, sollte man sich schleunigst eins der 300 schwarzen Teile zulegen, denn eine CD-Veröffentlichung ist nicht geplant, was ich persönlich als Vinyl-Freak natürlich nur befürworten kann. Der Kaufpreis von 60 Euro geht auch völlig in Ordnung, wenn man bedenkt, wieviel Kohle und Arbeit in diesem Release steckt. Absolute Kaufempfehlung für ein würdiges Komplettwerk - bleibt nur noch zu hoffen, daß die Herren ihre alten Ärsche vielleicht nochmal für ein Release-Konzert hochbekommen. (Text: Engel, Bild: Immortal Vinyl Records) |